Bolivien und Klimawandel

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Gletscher am Huayna Potosí bei La Paz, Bolivien. Quelle: Pixabay

Bolivien ist ein Binnenstaat in Südamerika und grenzt im Westen an Peru und Chile, im Süden an Argentinien und Paraguay sowie im Osten und Norden an Brasilien. Das Land ist ungefähr dreimal so groß wie Deutschland, hat aber mit weniger als 10 Einwohner:innen pro km² eine äußerst geringe Bevölkerungsdichte (in Deutschland leben 227 Einwohner:innen pro km²).

Bevölkerung

Über die Hälfte der knapp 11 Mio. Einwohner:innen sind Angehörige indigener Völker: meist Quechua (30,7%) und Aymara (25,2%). Gut 30% der Bevölkerung sind Menschen mit teils indigenen, teils europäichen Wurzeln. Die anderen Bewohner:innen des Landes sind Nachkommen von den aus Afrika entführten und versklavten Menschen sowie von Einwander:innen aus Europa, Japan und China. Die europäischen Einwander:innen brachten die heutige Amtssprache Spanisch und den katholischen Glauben mit. In jeder Region gilt neben Spanisch noch mindestens eine der 36 lokalen indigenen Sprachen als Amtssprache. Der Großteil der bolivianischen Bevölkerung ist heute katholisch; 19% gehören einer protestantischen oder evangelikalen Glaubensrichtung an.

Umwelt

Boliviens vielfältige Landschaft unterteilt sich in drei geografische Großregionen: das Anden-Hochland, die innerandinen Trockentäler und Yungas (langgestreckte Hochtäler am Übergang von der Gebirgsregion zum Tiefland) sowie das im Nordosten gelegene Amazonas-Tiefland, welches rund zwei Drittel der Landesfläche einnimmt.
Die Regionen sind artenreich, doch die Menschen leben in den ländlichen Gebieten zumeist unter schwierigen Bedingungen: Für sie bestehen kaum Zugänge zu Infrastrukturen, Märkten und gesellschaftlichen Angeboten. Gleichzeitig sind sie am stärksten den Wetterextremen ausgesetzt, die durch den Klimawandel zunehmen.

Zu den größten ökologischen Problemen des Landes zählen der Mangel an sauberem Trinkwasser und die Entwaldung. Schon 2000 fand in Bolivien ein (erfolgreicher) Kampf der Bevölkerung gegen die Privatisierung von Wasser statt.
Der folgende Animationsfilm erzählt die Geschichte von diesem „Wasserkrieg“ und verknüpft ihn mit der Legende der Großmutter Grille, einer Erzählung der indigenen Ayoreo. Er entstand 2010 durch ein multinationales Künstler:innenteam in Dänemark:

In der aktuellen bolivianischen Verfassung ist Wasser als ein Menschenrecht festgeschrieben. Wasservorräte sind staatlich kontrolliert, trotzdem gibt es viel zu wenig davon. Im November 2016 rief Bolivien aufgrund schweren Wassermangels den Notstand aus. In dem Jahr hatte Bolivien die schwerste Dürre seit 25 Jahren sowie das heißeste Jahr seit hundert Jahren erlebt, drastische Wassersparmaßnahmen mussten verhängt werden. Boliviens zweitgrößter See – der Lago Poopó – sowie einige Trinkwasserreservoirs trockneten erstmals komplett aus; es kam zu heftigen Protesten in La Paz und ländlichen Regionen.

Die jährliche Entwaldungsrate hat sich in Bolivien von 2015 bis 2017 verdoppelt. Damit steht das Land  – in absoluten Zahlen – weltweit in puncto Entwaldung an 5. Stelle; pro Kopf gerechnet ist das Land bei der Abholzung sogar Weltmeister und leistet damit auch einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Klimawandel. Gründe für die Abholzung sind die Besiedlung der Waldregionen durch kleinbäuerliche Familien, die anderswo ihre Existenzgrundlage verloren haben, eine exzessive Rohstoffgewinnung für den Export (siehe nächster Absatz), der großflächig betriebene Anbau von ebenfalls für den Export bestimmten Agrarprodukten wie Soja, Sonnenblumen, Quinoa, Paranüsse und Bananen sowie die Entwaldung für Viehzucht.

Reichtum und Armut

Trotz seines Reichtums an Wald und mineralischen Bodenschätzen (Zinn, Erdgas, Erdöl, Lithium, Zink, Wolfram, Antimon, Silber, Eisen, Blei und Gold) zählt Bolivien zu den ärmsten Staaten Südamerikas. Nur eine kleine Gruppe zumeist multinationaler Unternehmen profitiert von dem Reichtum des Landes. Die exzessive, exportorientierte Rohstoffgewinnung zieht neben Entwaldung v.a. Umweltverschmutzungen, Monokulturen und industrialisierte Landwirtschaft nach sich und sorgt zudem für eine extreme soziale Ungleichheit.

Ein Beispiel ist die wachsende Nachfrage nach Lithium, dem „weißen Gold“: Das Leichtmetall wird aufgrund seiner hervorragenden Speicherkapazitäten zur Herstellung von Batterien verwendet und gilt als einer der Schlüsselrohstoffe des 21. Jahrhunderts. Er ist unentbehrlich für digitale Zukunftstechnologien, die Energiewende und den Ausbau der Elektro-Auto-Industrie. Im bolivianischen Salzsee Uyuni lagern die weltweit größten Lithiumreserven. Ende 2018 beschlossen ein deutsches und ein bolivianisches Unternehmen einen Vertrag, der ihnen mit staatlicher Unterstützung ab 2021 den gemeinschaftlichen Lithium-Abbau am Uyuni-See ermöglicht.
Doch während E-Autos in Deutschland einen Beitrag zum Klimaschutz leisten sollen, berichten die Menschen aus dem sog Lithium-Dreieck von Argentinien, Bolivien und Chile, in der mehr als 60 Prozent der weltweiten Lithiumvorkommen lagern, über massive Probleme: Weil die Förderung von Lithium extrem wasserintensiv ist, sinkt der Grundwasserspiegel, angrenzende Flüsse und Vegetation vertrocknen. Für die indigenen Gemeinschaften vor Ort wird es immer schwieriger, ihrer auf Viehzucht, Landwirtschaft und der Gewinnung von Salz gründenden Lebensweise nachzugehen.

Auch die steigende globale Nachfrage nach Lebensmitteln fordert in Bolivien ihren Tribut – zum Nachteil der dort lebenden kleinbäuerlichen und indigenen Gemeinschaften. Ihr kulturelles Erbe, ihre Existenz und Ernährungssicherheit sind bedroht.

Auf dem Human Development Index der UNDP – der Index setzt sich aus dem Bruttonationaleinkommen sowie der durchschnittlichen Lebenserwartung und der Schulbildung zusammen – nahm das Land 2017 Platz 116 ein. Zum Vergleich:  Deutschland stand auf Platz 5. Zwar sind im vergangenen Jahrzehnt wichtige Fortschritte in der Bekämpfung der extremen Armut zu verzeichnen, aber über ein Fünftel der Bevölkerung haben immer noch weniger als einen Dollar am Tag zur Verfügung. Das betrifft sowohl die Land- als auch die Stadtbevölkerung. Aktuell verschärfen die Folgen des Klimawandels diese Situation noch.

In der bolivianischen Verfassung ist auch das Recht auf ein „Gutes Leben“ (Buen Vivir) verankert. Ebenso wird Natur als ein Subjekt verstanden, das Rechte haben kann. Mit dem „Buen Vivir“ („Sumak Kawsay“ auf Quechua) wird auf indigene, vor-koloniale Traditionen der Anden zurückgegriffen. In dem Konzept kristallisiert sich somit der Versuch, die koloniale Vergangenheit, die die Geschichte Südamerikas prägt, zu überwinden.  

Klimawandel und seine Folgen

In den letzten 30 Jahren ist die Hälfte der Gletschermasse in Bolivien verschwunden und es besteht Gefahr, dass die bolivianischen Gletscher ganz verschwinden werden. Das hat schwerwiegende Folgen: Die Wasserversorgung der Bevölkerung hängt zum großen Teil vom Gletscherwasser ab. So kommt z.B. 50% des Wasser für die 2 Millionen Einwohner:innen der Schwesterstädte La Paz / El Alto von den Gletschern. Auch in den abgelegenen Hochtälern der Anden sind die Menschen auf das Wasser der Gletscher angewiesen: ohne dieses Wasser gibt es keine Ernte und damit keine (Über-)Lebensgrundlage für die Bevölkerung. Expert:innen warnen, dass sich das eigentliche Problem der Wasserknappheit erst noch in den kommenden Jahrzehnten zeigen wird.

In den verschiedenen Klimazonen Boliviens wirkt sich der Klimawandel allerdings unterschiedlich aus. Parallel zur Gletscherschmelze in den Anden haben sich anderswo die Regenzeiten – bedingt u.a. durch das Klimaphänomen El Niño – verändert, verstärkt und/oder verkürzt. So kommt es im Tiefland regelmäßig zu Überschwemmungen, während im andinen Hochland häufiger und längere Dürren eintreten. Durch mangelnden Regen verändern sich die sensiblen Ökosysteme – besonders betroffen davon sind die kleinbäuerlichen und indigenen Gemeinschaften: Wenn der Regen nicht in der über Generationen vertrauten Zeit kommt, verlieren sie ihre Ernten und ihr Vieh.

Sowohl auf dem Land wie in den Städten leiden die Menschen vermehrt unter extremer Wasserknappheit. Konflikte um die Wassernutzung nehmen zu. Besonders betroffen ist die Region La Paz / El Alto. Zu den Dürren kommen wiederholte Kälteeinbrüche, Hagelstürze, Stürme u.a. Extremwetterereignisse hinzu. Viele Familien verlieren so ihre Existenzgrundlage, was wiederum zu Landflucht führt: Junge Leute suchen Arbeit und Perspektiven in den Städten. Alte, Kranke, Frauen und Kinder bleiben nicht selten unzureichend versorgt auf dem Land zurück.

Auch die Energieversorgung ist durch die Wasserknappheit bedroht: Mehr als die Hälfte seines Energiebedarf deckt Bolivien aus Wasserkraft. Doch die Staudämme leeren sich, wenn das Wasser aus den Gletschern weniger wird. Aus den Bergen fließt schon jetzt viel zu wenig Wasser nach.

All diese Veränderungen und Verschiebungen der Regenzeiten werden von Fachleuten als konkrete Folgen des Klimawandels in Bolivien bewertet. 2017 belegte Bolivien im Globalen Klima Risiko Index (KRI) Platz 39  (German Watch 2019)  – gefolgt von Deutschland auf Platz 40! Der KRI zeigt, wie stark Länder von Wetterextremen wie Überschwemmungen, Stürmen, Hitzewellen etc. betroffen sind. Erfasst werden die Anzahl der menschlichen Todesopfer sowie die direkten ökonomischen Verluste. Wenngleich die Auswertungen über die Schäden und Todesopfer keine Aussage darüber erlauben, welchen Einfluss der Klimawandel bereits direkt bei diesen Ereignissen hatte, so werfen die Zahlen doch ein Licht auf die Verwundbarkeit der Staaten.

Allgemeine Länderinformationen
Auswärtiges Amt
Wikipedia
Länderinformationsportal

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Cambio climatico en bolivia (spanischsprachiger Blog) 
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